Mafiöse Strukturen schaden Patienten?

Bei der Markteinführung neuer oder weiterentwickelter Medizinprodukte steht der Patient einer gut organisierten Interessengemeinschaft aus Herstellern, Krankenhäusern, Ärzten, Gutachtern und Labors gegenüber. Gegen diese Phalanx haben Betroffene kaum eine Chance. Wie die „Zusammenarbeit“ gegen die Interessen der Patienten funktioniert beschreibt Hanspeter Hauke in seinem Kommentar zu den bisherigen Erfahrungen beim „Freiburger Hüftprothesenskandal„.

1. Markteinführung neuer Medizinprodukte

Neue Medizinprodukte, darunter auch weiterentwickelte oder veränderte Prothesen, werden nach der Entwicklung einer firmeninternen Risikostudie des Herstellers unterworfen und nach der CE Kennzeichnung auf den Markt gebracht. Der Aufwand für die CE Kennzeichnung ist in verschiedenen europäischen Ländern unterschiedlich. Das Produkt wird danach über die Vertriebswege der Herstellerfirmen an die Kliniken und Ärzte gebracht, oft in Verbindung mit entsprechenden Schulungen der Anwender. Das Produkt wird dann bei Patienten angewendet und die Herstellerfirma erhält Rückmeldungen über den Erfolg und eventuelle Probleme des Produktes, welche die Klinik/der Arzt an die Herstellerfirma liefern, oft gegen Honorierung und Verschwiegenheitsvereinbarung.

Bei der Einführung von Medizinprodukten werden Patienten in der Regel nicht ausreichend oder gar nicht über Risiken und fehlende Erfahrungswerte bei neuen oder weiterentwickelten Produkten informiert. In Einzelfällen auftretende Probleme werden nicht bekannt gemacht, sondern führen zu firmeninternen Überprüfungen, über deren Ergebnisse weder die betroffenen Patienten noch die Öffentlichkeit Kenntnis erhalten. Werden Fälle bekannt und sollen gerichtsanhängig gemacht werden, liegt die Beweislast beim Patienten. Eine unabhängige Stelle mit entsprechendem Gewicht, welche die Interessen der Patienten vertreten könnte, gibt es nicht. Rechtschutzversicherungen decken bei Medizinhaftungsfragen häufig eine außergerichtliche anwaltliche Beratung ab, einen Prozess mit Gutachten und Gutachter jedoch nicht.

2. Keine Unabhängigkeit der Gutachter

Die im Rahmen des „Freiburger Hüftprothesenskandals“ gemachten Erfahrungen zeigen, dass die führenden und technisch entsprechend ausgestatteten Labors und Gutachter in Beratungsverhältnissen mit der Herstellerfirma stehen. Die Beauftragung dieser durch die betroffenen Patienten ist deshalb kritisch zu sehen. Alternative Gutachter und Labors sind nicht bekannt.

3. Das Durom-Metasul-LDH-Hüftprothesensystem

Einen Fall, der die oben geschilderte Problematik verdeutlicht, stellt die Weiterentwicklung bisher verwendeter Hüftprothesen zum Durom-Metasul-LDH-Hüftprothesensystem dar, welches mir gegenüber vor meiner OP vom Operateur als „der Mercedes der Hüftprothesen“ angepriesen wurde. Der „Mercedes“ hat sich bei mir und weiteren ca. 950 Patienten im Süddeutschen Raum als „Rohrkrepierer“ herausgestellt. Ca. 150 Patienten mit diesem Hüftprothesensystem mussten seit Sommer 2009 bereits re-operiert werden, weil übermäßiger Metallabrieb unter anderem zu Knochenfraß (Osteolysen), nekrotischem Gewebe und erhöhten Chrom- und Kobaltwerte im Blut geführt hat. Gegenwärtig werden nach Aussage des leitenden Operateurs Dr. Rütschi 3-4 Re-Operationen pro Woche am Lorettokrankenhaus in Freiburg durchgeführt. Der Heilungsprozess ist langwierig und äußerst schmerzhaft. Ich wurde am 29.3.2010 re-operiert und hoffe nun im Laufe des Juli wieder arbeiten zu können. Andere Patienten sind seit Anfang Februar 2010 krank geschrieben. Die Kosten tragen Patienten, DRV, Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherungen sowie private Krankenversicherungen und Arbeitgeber im Rahmen der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle.

4. Ursachenforschung

Der Hersteller (Firma Zimmer, Winterthur/Freiburg) hat zur Analyse der Probleme und zur Findung von Lösungswegen eine Expertenkommission ins Leben gerufen, in welcher firmeninterne Experten mit externen Experten zusammenarbeiten. Diese Experten sind nach meinem Kenntnisstand identisch mit den Gutachtern und Laborleitern, die auch das Lorettokrankenhaus mit dem Ziel beauftragt hat, ein Verschulden des Krankenhauses und des Operateurs (Dr. Rütschi) zu untersuchen bzw. auszuschließen. Vor Gericht treten ferner genau die Gutachter auf, die gleichzeitig von der Herstellerfirma Zimmer honoriert werden. Unabhängige Gutachter scheint es in Deutschland nicht zu geben. Neben Expertenkommission der Firma Zimmer und den vom Lorettokrankenhaus beauftragten Gutachtern gibt es keine Stelle, welche sich kompetent der Klärung der Ursachen annehmen könnte. Die Möglichkeiten der betroffenen Patienten sind nicht nur wegen deren gesundheitlichen Probleme begrenzt.

5. Prothesenregister

Auch in Deutschland wird seit langem ein zentrales Prothesenregister gefordert, zum Beispiel am 11. Mai 2009 durch den Gemeinsamen Ausschuss G-BA (http://www.g-ba.de/informationen/aktuell/pressemitteilungen/287/). Damit könnten Häufungen von Problemen erfasst und frühzeitiger Rückmeldungen an die Anwender veranlasst werden. In nordischen und anderen Ländern mit einem solchen zentralen Register konnten Problemfälle signifikant reduziert werden und ist der Wert und die Bedeutung eines zentralen Registers unstrittig.

5 Kommentare
  1. Dr. Manfred Sxxx
    Dr. Manfred Sxxx sagte:

    Sehr geehrte Nicoline Hxxx.Diese Angaben zur eingebauten Hüftprothese bei der Revision lässt keinen Hinweis auf das DUROM-Modell zu. Es sind dies bewährte Implantate. Fa. ZIMMER sollte Ihnen die bisherigen Erfahrungswerte mitteilen können, wenn Sie ein Röntgenbild einsenden.

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  2. Nicoline Hxxx
    Nicoline Hxxx sagte:

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    Ende März 2010 wurde eine TEP bei mir gemacht. Jetzt nach 5 Monaten habe ich immer noch mal mehr mal weniger starke Probleme, laufe eine Strecke von mehr als 20 Metern nicht ohne Gehhilfe u. nehme immer noch zu oft Voltaren. Meine neue Hüfte ist auch von der Fa. Zimmer: Zimmer Allofit-S/Alloclassic/Zimmer CLS (Spotorno) = mehr kann ich aus dem O.P.-Bericht nicht entziffern.
    Können Sie mir meine Angst nehmen, dass meine Hüfte evtl. mit der Durom Metasul-LDH gleichzusetzen ist?? Hoffentlich mache ich mir nur zu viele falsche Sorgen!
    Mit freundlichem Gruß
    Nicoline Hxxx

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  3. Dr. Manfred Sxxx
    Dr. Manfred Sxxx sagte:

    Als „Mercedes einer Hüftprothese“ kann nur das Modell bezeichnet werden, wo der Orthopäde dem Patienten nachweisen kann, dass sich das Modell in vielen Kliniken bereits seit über 10 Jahren mit einer survival rate von deutlich über 90% ausserordentlich gut bewährt hat. Dafür gibt es eine Reihe von Fachpublikationen. Eine andere Hüpftendoprothese würde ich mir niemals implantieren lassen, wenn ich von ihr eine 20-30jährige Funktion erwarte. Die Implantathersteller haben sich bei Neuentwicklungen in Zusammenarbeit mit orthopädischen Chirurgen nach den sogenannten Golden Standards von Hüftprothesen zu orientieren, die sich schon jahrzehntelang in den Kliniken weltweit bewährt haben.

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    • Agnes
      Agnes sagte:

      Hallo Manfred,
      sehr witzig. Warum hat das mein Operateur nicht gewusst? Als Patientin muss ich dem Operateur doch vertrauen. Und wenn der sagt, die Prothese, die ich bekommen soll, ist der „Mercedes der Hüftprothesen“, dann glaube ich ihm doch logischerweise. Ich hatte vor meiner Op andere Probleme als die Prothese zu überprüfen, ob sie auch die richtige für mich ist.
      Trotzdem dank für die Infos
      Agnes

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  4. Dr. Manfred Sxxx
    Dr. Manfred Sxxx sagte:

    Seit Jahrzehnten ist es mir unerklärlich, warum ein zentrales Gelenkendoprothesen-Register nicht per Gesetz von jedem nationalen
    Gesundheitsministerium eingeführt werden kann. Warum war dies in
    Schweden möglich? Dort werden mehrheitlich nur Hüftprothesen mit guter, jahrzehntelanger Erfahrung implantiert. Neue Prothesenmodelle sollten nur an einer Basisklinik mindestens 10 Jahre lang erprobt und genauestens nachuntersaucht werden, bevor fünf weitere Kliniken zugezogen werden, um einen grösseren Erfahrungsschatz zu sammeln und zwar im Interesse zukünftiger Patienten. Dieses Vorgehen sollte eigentlich im ureigensten Interesse der Implantathersteller sein, um kopstspieligen Regressansprüchen zu begegnen. Letztere können bekanntlich zu unerwünschten Firmenübernahmen führen.

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